Nahrung für die wilde Seele

Ich liege auf einer Decke im Garten unter der Kirsche, an einem dieser warmen Spätsommernachmittage. Ein Halbrund von Büschen hat sich um den Kirschbaum gebildet, nur zum Teil von mir angepflanzt, zum Teil haben sie sich selber angesiedelt. Im Kreis des dichten Buschwerks liege ich geborgen und abgeschirmt gegen neugierige Blicke.

Ich schaue mir die Ligusterhecke zu meiner Linken genauer an und entdecke, dass im Liguster auch Eiche und Ahorn wachsen, Himbeere und Brombeere, die stachelige Berberitze und die dunkle Eibe sowie ein paar andere Sträucher, deren Namen ich nicht kenne. Was für eine Kraft diese wildwachsenden Pflanzen haben! Ich spüre ihre starke Energie, und tiefes Wohlbehagen breitet sich in mir aus.

Die alten Gartenbaumeister wussten noch um die Bedeutung des Wildwuchses für die Naturgeister und uns Menschen. In den französischen Gartenanlagen, zum Beispiel in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, gibt es neben den abgezirkelten Beeten, Rasenflächen und Wegen auch Areale, in denen Bäume und Sträucher frei wachsen dürfen, Horte von Lebenskraft.

In meinem Garten versuche ich, Wildnis und Kultur in der Waage zu halten. Was nicht immer so einfach ist, da ich neugierig bin auf alles, was sich auch ohne mein Zutun entfalten möchte.

Auf den Flügeln des Drachen

Ein riesiger Vollmond stand über den Bückebergen, als ich Samstagabend von Niedernwöhren kommend auf Obernkirchen zufuhr. Langsam schob sich eine grauschwarze Wolke vor den Mond, deren langgezogene Form mich an einen Drachenleib erinnerte, den Kopf Richtung Osten gewandt.

Ja, das sind die Bückeberge, ein Drachen, dachte ich. Im chinesischen Sheng Fui werden Landschaftsformationen wie Bergrücken als Drachen bezeichnet. Entstanden vor Jahrmillionen sind im Sandstein auf dem Kamm der Bückeberge ja sogar Spuren der urzeitlichen Drachen, der Dinosaurier, zu finden.

Wenn ich auf der Bergkettenstraße von Obernkirchen über Liekwegen zum Reinser Pass fahre, habe ich das Gefühl, auf den Schwingen des Drachen entlangzugleiten. Mächtige Tiere sind sie, die Drachen, die uns Menschen mit unermesslichen Wohltaten beschenken:

der reinen Luft zum Atmen, dem Wasser aus zahllosen Quellen, Kräutern, Beeren und Pilzen zum Essen, Holz, das bei Kälte im Ofen Wärme spendet, Bäume und Blumen, an denen wir uns freuen…

Holunderzeit – Frau Holle – die Göttin mit den vielen Namen

Wieder einmal ist es Zeit, Holunderbeeren zu pflücken und Saft, Gelee und Marmelade zu kochen. Ich pflücke die reifen, schwarzen Beeren an einem sonnigen Morgen, manchmal sind auch noch grüne und rote dazwischen. Währenddessen bereitet Heidi schon den Entsafter, die Flaschen und Gläser in der Küche vor.

Früher wurden Holunder- und Haselbüsche als Schutzpflanzen in die vier Ecken eines Gehöfts gepflanzt. Das mag mit Überlieferungen der alten Griechen, Römer und Germanen zusammenhängen, dass im Holunder gute Geister wohnen. Bei den Germanen ist es die Göttin Freya gewesen, die Beschützerin von Haus und Hof, die im Holunder lebte. Mit dem aufkommenden Christentum erhielt der Busch übrigens den Beinamen „Baum des Teufels“.

Mich erinnert der Holunder an Frau Holle aus dem Märchen, das die Brüder Grimm überliefert haben. In Bayern und Österreich ist auch der Begriff „Holler“ für den Busch üblich, in der Schweiz und im Schwäbischen „Holder“. Das passt zu Frau Holle, denn ihr Name geht zurück auf die Göttin Holla/Holda/Hulda, eine der großen Göttinnen, die es in vielen Kulturen unter vielen verschiedenen Namen gibt. Die großen Göttinnen hatten zahlreiche Aspekte, freundliche und dunkle Seiten, umfassten Leben und Tod. Weiß, Rot und Schwarz sind ihre Farben, und genau diese Farbtöne finden wir auch im Holunder: die weißen Blüten, und die zunächst grün/roten, dann schwarzen Beeren.

Nachmittags, nach getaner Arbeit, können Heidi und ich zahlreiche Gläser und Flaschen bewundern: Holundersaft pur, Holunder- und Apfelsaft gemischt, Gelee mit Holunder und Rotwein, Marmelade mit Holunderbeeren und allen anderen Früchten des Gartens, Pflaumen, Äpfeln und Birnen. Dank an den Holunder, Frau Holle und wie sie alle heißen mögen, die guten Geister!

Über schönes Wetter und Regen machen

„Es wird schön,“ sagt der Sprecher der Wetternachrichten. „Morgen steigen die Temperaturen wieder auf 27 Grad, kein Regen.“ Schön? Was sagt die Erde dazu, die Bäume, deren Blätter welken, die Waldtiere, die durstig vor ausgetrockneten Bächen stehen? Von wegen schön. Ich habe mich schon einmal beim NDR beschwert wegen dieser großstädtisch geprägten Art und Weise, über das Wetter zu berichten.

Es gibt ein hölzernes Instrument, Regenmacher genannt, das klingt wie ein sanfter Regenschauer, wenn man es hin und her bewegt. Es gibt Regentänze indigener Völker, und es gibt Schaman/innen, die Regenwolken herbeibitten, beten, rufen, singen können. Der hawaiianische Schamane Serge Kahili King beschreibt in seinem Buch „Der Stadt-Schamane“ den Vorgang des „Grockens“. Um zum Beispiel Regen herbeizurufen, ist es erforderlich, mit dem Muster des Regens, des Wassers, zu verschmelzen, sich wie Regen zu fühlen und zu fragen, ob eine Manifestation zum derzeitigen Zeitpunkt recht ist. Martín Prechtel, der in einer dreijährigen intensiven Lehrzeit in Guatemala auch gelernt hat, Wetter zu beeinflussen, sagt, dass das nur möglich sei, wenn der Verstand ganz ruhig geworden ist.

King betont, dass es nicht um die Beherrschung der Natur geht, ein Erfolg ist nur in Zusammenarbeit mit den Naturgesetzen möglich. Und er weist darauf hin, dass es immer vielfältige Einflüsse auf ein komplexes Geschehen gibt. Auch unsere Gedanken gehören zu den Einflüssen, die eine Rolle spielen können. Ich frage mich, was für eine Wirkung der weit verbreitete Wunsch – auch mein Wunsch! – nach Sonne haben mag…

 

Über Schönheit

Schönheit ist etwas zutiefst Heilsames, nichts rein Dekoratives, Oberflächliches. Ein Gebet der Navajo, eines indigenen Volkes aus Nordamerika, lautet:

„Schönheit in mir, Schönheit neben mir, Schönheit über mir, Schönheit unter mir, Schönheit überall um mich herum.“

Schönheit spricht unseren Sinn für Harmonie an, für die Ausgewogenheit und Balance, die wir häufig suchen. Wenn wir schöne Landschaften oder auch nur Bilder vom Meer oder Bergen sehen, die wir schön finden, weitet sich unser Herz, Freude kehrt ein. Und wirkt. Heilsam.

Feuer, Wasser, Erde, Luft – welcher Tag ist heute?

Nein, es geht hier nicht um Montag oder Dienstag, den 2. oder 31. eines Monats – dieses Spiel geht anders!
Die heißen Tage der vergangenen Woche konnte ich mit einer Freundin an der Ostsee genießen. Diesig war es zunächst, die ruhige See glitzerte silbern, das warme Wasser erinnerte mich an Kindertage am Meer. Schwimmen, Aufwärmen in Sonne und Sand, wieder ab ins Wasser, Freude im Herzen. „Ein richtiger Wassertag heute“, sagte J.
„Und was für ein Tag ist heute?“ fragte sie am nächsten Morgen. Noch während sie sprach, schlug ein plötzlicher Windstoß die Terrassentür zu. „Ganz schön luftig,“ meinte ich. Am Strand herrschte eine quirlige Atmosphäre, Menschen kamen und gingen, das Wasser war bewegt, Kinder kreischten aufgeregt und rannten hin und her.
Das Sonnenfeuer begleitete uns während der Ferientage, angenehm wärmend nach einem langen Bad, aufheizend, und manchmal mit drückender Hitze. Nach ein paar Tagen wurde mein Körper angenehm schwer. Ich lag im Schatten im warmen Sand, es war ruhig am Strand, keine Hektik mehr. Sand, Wasser, Sand, Steine, Wasser, Sand. „Heute ist Erdtag!“
Spannend, die Elemente unter diesem Blickwinkel zu beobachten – welches Element spielt heute eine besondere Rolle auf der Bühne des Lebens, meines Lebens?

Die Farbe Grün und die Rüstungskonzerne

Zusammen mit einer Freundin mache ich ab und zu schamanische Reisen zu gesellschaftlichen Fragen und Problemen. Ausgangspunkt war diesmal eine Frage von R., ob sich nicht Möglichkeiten auftun können, das Kapital zum Wohl der Erde einzusetzen. Das mag naiv klingen, aber im Laufe der Geschichte hat es immer wieder überraschende Entwicklungen gegeben, wie zum Beispiel den völlig unerwarteten Fall der Mauer in Deutschland 1989.
In unseren schamanischen Reisen gab es eine verblüffende Übereinstimmung. R.s Reise führte in einen großen Ratskreis von Spirits in der Oberen Welt, die offensichtlich schon lange darauf gewartet haben, dass jemand mit einer derartigen Frage an sie herantritt. Denn es ist ein Gesetz, dass sie erst dann aktiv werden können, wenn wir sie darum bitten. Sie begannen sofort, Grün wachsen zu lassen, große und kleine Pflanzen, Buschwerk, das Fabrikanlagen überwucherte.
Auch in meiner Reise spielte die Farbe Grün die Hauptrolle. Gemeinsam mit meinem Lehrer aus der Oberen Welt saßen wir in einem großen Kreis, und er bat uns Grünkraft, Liebeskraft zu den Rüstungskonzernen zu schicken. Ich stellte mir eine Bombe in der Mitte unseres Kreises vor und war irritiert – wie können Bomben, Waffen, Panzer auf diese Art aufgelöst werden? Dies ist ein energetischer Prozess, sagte der Weise, visualisiere immer wieder dieses Bild, ein Kreis von Menschen, die Grünkraft dorthin senden, wo Tod produziert wird.
In ihrem Urzustand war unsere Mutter Erde grün, und durch die Visualisierung versetzen wir sie in ihren ursprünglichen Zustand zurück.

 

Tarot und Schamanismus

Als ich vor Jahrzehnten ein Tarotspiel in die Hand bekam, machte es „klick“ bei mir – aber das ich damit den ersten Schritt auf dem schamanischen Weg machen würde, war mir damals nicht bewusst. Tarot, Geomantie, Geistheilen, Schamanismus – wir haben eine breit gefächerte Palette von Begriffen, die in Sibirien alle als Schamanismus bezeichnet werden. Das Wahrsagen, bei uns vor allem mit Hilfe des Tarot, in Sibirien mit anderen Methoden durchgeführt, gilt dort als eine der ersten Stufen im Prozess der Schamanenwerdung.
Erst als ich den Aufbau des Tarotspiels näher kennenlernte, stellte ich fest, dass es tatsächlich eine Vielzahl schamanischer Elemente enthält. In den Karten sind die vier Elemente, ein Grundwerkzeug von Schaman/innen, in symbolischer Form enthalten. Das Feuer wird meist als Stäbe dargestellt, das Wassser als Kelche, die Luft als Schwerter und die Erde als Münzen. Und die Karten der Großen Arkana stellen den archetypischen Entwicklungsweg eines Menschen dar, der in der Mythologie als Weg der Heldin oder des Helden bekannt ist.
Wenn man beim Kartenlegen nicht sofort in ein Buch schaut, sondern versucht, den ersten Eindruck von einer Karte aufzufangen, kann man seine Intuition schulen. Was nehme ich zuerst wahr? Ist es ein Gefühl, ein Begriff, der plötzlich auftaucht, ein Gegenstand, der mir ins Auge fällt? Und was hat das für eine Bedeutung für mich? Wichtig ist es, wirklich den ERSTEN Eindruck aufzufangen, denn der kommt aus der Intuition. Das ist nicht ganz einfach, denn vor allem, wenn uns dieser erste Eindruck nicht gefällt, schaltet sich blitzschnell der Verstand ein, um die Wahrnehmung in gewohnte (und vielleicht gewünschte) Bahnen umzuinterpretieren.
Diese unvoreingenommene Wahrnehmungsschulung ist für die schamanische Arbeit von großer Bedeutung.

Ohne Schaman/innen keine Gemeinschaft?

Am Wochenende besuchte ich in Oldenburg im Landesmuseum eine Ausstellung über Schamanen in Sibirien. Ein ausgestopfter Wolf schien mich zu beobachten, während ich mir Alltags- und Ritualgegenstände der Nanai und Tschuktschen aus den letzten Jahrhunderten anschaute. In den Erläuterungen wurde deutlich, dass die Schaman/innen bedeutende Persönlichkeiten waren, die nicht nur Kranke heilten, sondern für das Wohl des Stammes in jeglicher Hinsicht zuständig waren.
Auf der Rückfahrt ging mir immer wieder ein Satz aus einem Beitrag über die Zukunft des Schamanismus durch den Kopf. Ein Schamane sagte: „Wenn es keine Schamanen mehr gibt, die für die Gemeinschaft leben, leiden und sterben, dann wird es bald auch keine Gemeinschaft mehr geben.“
Keine Gemeinschaft ohne Schaman/innen? Ohne Menschen, die für die Gemeinschaft leben und leiden? Menschen, die sich neben dem Wohlergehen der einzelnen darum kümmern, dass die ganze Gemeinschaft in Harmonie lebt. Dass sowohl in der Gruppe Missklänge ausgeräumt werden als auch Einklang mit der Natur, mit übergeordneten, kosmischen Gesetzmäßigkeiten herrscht.
Wer sorgt in unserer Gesellschaft dafür? Da gibt es Ärzte, Heilpraktiker/innen, Psychologen, die sich um die Gesundheit einzelner kümmern. Mediatoren und Richter/innen, die für Streitschlichtung, für Vergehen gegen die Regeln der Gemeinschaft zuständig sind. Dafür, im Einklang mit der Natur zu leben, ist – gesellschaftlich betrachtet – niemand wirklich zuständig. Politiker erlassen, meist erst auf Druck hin, gesetzliche Regelungen zum Schutz der Natur, die kaum ausrechend sind. Im Grundgesetz ist nur die Würde des Menschen unantastbar, die Würde von Tieren findet keine Erwähnung. Und von einer „Würde“ der Natur, von Pflanzen und der Erde selbst zu sprechen, stößt schon sprachlich bei uns auf Unverständnis. Dann gibt es noch Pastoren und Priester in unserer Gesellschaft, sorgen sie dafür, dass wir in Harmonie mit der Natur leben? Eine theologische Richtung, die Schöpfungstheologie, die die Bewahrung der Schöpfung zum Ziel hat, ist eher in Südamerika, bei Naturvölkern, beheimatet als bei uns.
Es gibt keine schnelle Antwort auf die Frage, was Schamaninnen mit Gemeinschaft, und Gemeinschaft mit Schamanen zu tun hat. Bislang machen die meisten Menschen, die in Deutschland schamanisch arbeiten, Heilungsarbeit für einzelne. Ein umfassenderes Tätigkeitsfeld, das auch gesellschaftliche Belange beinhaltet, müssen sich schamanisch Praktizierende in westlichen Gesellschaften noch erschließen.

Über Landschaften, Seelenlandschaften und Archetypen

Einmal im Jahr muss ich das Meer sehen, Ostsee, Nordsee oder das Mittelmeer, Hauptsache, ich spüre diese unglaubliche Weite, das Blau bis zum Horizont, das mit dem Blau des Himmels verschmilzt. Schnee bedeckte, hohe Berge locken mich nicht so intensiv, sprechen nicht so tiefe Gefühlsschichten in mir an wie das Meer. Dauerhaft leben möchte ich dort nicht, auch wenn sich meine Seele einmal im Jahr mit der kraftvollen Energie des Meeres füllen und nähren muss. Zu Hause fühle ich mich überall dort auf der Welt, wo sich sanfte, grüne Hügel ausbreiten, also auch hier am Rand der Bückeberge und des Weserberglands.
In der Geomantie werden Berge dem männlichen Prinzip, das Meer, das Wasser dem weiblichen zugeordnet. In allen alten Kulturen gab es – und gibt es sicherlich auch heute noch – Archetypen, Göttinnen und Götter, die das Land und seine Landschaften repräsentieren. So ist Leban eine keltisch-irische Meeresgöttin, Namake eine hawaiianisch-polynesische und Nammu oder Namma eine sumerische, die als Mutter aller Gottheiten verehrt wurde.
In einem Tarotspiel, „Daughters of the Moon“, taucht Nammu als Kelch-Königin auf. Ihr wird nährende und schützende Energie zugeordnet, die Fähigkeit, sich selbst zu akzeptieren und auf die eigenen Gefühle zu achten. Auf dieser Basis versteht sie es, auch andere zu bemuttern.
Ich liebe das Spiel mit Assoziationen, Berge und Wasser, männlich und weiblich, Gefühl und Verstand, Archetypen… Was bedeutet es für mich, dass ich das Meer liebe, die grünen Hügel… Im Sommer, in den Ferien ist Zeit, mit Assoziationen zu spielen, sie fließen zu lassen, neue äußere und innere Landschaften zu entdecken.

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