Ich hatte, was selten vorkommt, eine unruhige Nacht, und morgens klingelte der Schornsteinfeger schon vorm Frühstück. In aller Eile rückte ich ein Regal beiseite und breitete Zeitungspapier aus, damit er sich an die Arbeit machen konnte.
Als ich dann endlich in Ruhe eine Tasse Tee trinken konnte, merkte ich, dass ich etwas aus der Balance geraten war, mich atemlos, gehetzt, unzufrieden fühlte. Ich spürte ein auffallend starkes Bedürfnis nach dem gewohnten Tagesbeginn, nach Routine. Und das bei einem so harmlosen Ereignis wie dem Auftauchen des Schornsteinfegers vorm Frühstück nach einer schlechten Nacht! Schlagartig wurde mir bewusst, wieviel Sicherheit die gewohnte Struktur vermittelt.
Ich musste an meine erwachsenen, ausländischen Schüler und Schülerinnen denken, Flüchtlinge, die nahezu jegliche gewohnte Struktur, ihre Umgebung, Arbeit, Freunde und häufig auch Familie verloren hatten. Vielleicht klammern sich daher gerade die Älteren unter ihnen so an Gewohntes: vertraute Mahlzeiten, mit bekannten Zutaten auf herkömmliche Art zubereitet, vertraute Familienstrukturen, vertraute Verhaltensweisen, die leider nicht immer in unseren deutschen Alltag passen (bei Regen geht man nicht aus dem Haus, allein geht man/frau nicht zum Arzt…)
Auch meine Eltern waren Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg, und mein Vater, seine Eltern und zahlreichen Geschwister klammerten sich aneinander und an die katholische Religion. Jahrzehnte später, als sich neue, tragende Strukturen gebildet hatten, löste sich bei meiner Generation diese Starre allmählich auf.