Neumond ist eine Zeit, die sich besonders gut für Heilungsprozesse eignet. Maria, meine schamanische Lehrerin aus dem sibirischen Altai, führt Heilungen im Allgemeinen zwischen Neumond und dem 8. Tag nach Neumond aus. In dieser Zeit überwiegt, nach den altaiischen Weisheitslehren, weiße, heilsame Energie. Auch bei uns ist inzwischen bekannt, dass Operationen möglichst nicht um Vollmond ausgeführt werden sollten.
Unsere Reisen in den Altai haben wir immer so ausgerichtet, dass wir um Neumond bei Maria waren. Jede Heilungssitzung bei ihr war anders, einmalig, nur einige Grundelemente bleiben konstant: das Feuer in der Mitte des Ails, einer Jurte aus Holz, die Reinigung mit einem brennenden Wacholderzweig und das Rauchen der Pfeife, durch die die Schamanin Kontakt zu ihren helfenden Geistwesen hält, von denen sie Informationen bekommt, was für die Klienten erforderlich ist.
Manchmal teilte die Schamanin etwas aus der Vergangenheit der Betreffenden mit oder wies auf gesundheitliche Probleme hin. Es konnte vorkommen, dass sie Ratschläge gab, welche Tees oder Speisen man zu sich nehmen sollte oder sie bat darum, mit einer Flasche Wasser wiederzukommen, die sie energetisch auflud. Ab und zu spielte sie Khomus, die Maultrommel, oder Topshur, ein Saiteninstrument, aber selten benutzte sie die Trommel für Heilungen. Nur einmal habe ich erlebt, dass sie mit lautem Trommelschlag Angstdämonen vertrieb.
Als während eines meiner Besuch Marias Tante verstarb, durfte sie ab sofort keine Sitzungen mehr abhalten. Es war ihre Aufgabe, für die Begräbniszeremonien zu sorgen. Immer wieder habe ich erfahren, dass Reisepläne geändert werden mussten. Wir sind es gewohnt, zu planen und Monate vorher ein Programm festzulegen. Die Spirits spielen da nicht immer mit. Ein besonders eindrückliches Beispiel möchte ich nennen:
Maria war für das Frühjahr 2011 nach Deutschland eingeladen. Vor allen Reisen befragt die Schamanin ihre Spirits, und in diesem Fall war es so, dass ihre Helfer aus der Anderswelt einen strikten Riegel vor die Reise schoben. Maria bat andere Schamanen, für sie den Weg frei zu machen, aber es war nicht möglich. „Der Weg ist eindeutig versperrt,“ sagte sie, „ich kann nicht kommen.“ Schweren Herzens verzichtete sie auf die lange geplante Fahrt.
Und was geschah genau in der Zeit, als Maria sich eigentlich in Deutschland aufhalten wollte? In Fukushima passierte die größte Atomkatastrophe der Geschichte. Da es die wichtigste Aufgabe der Schamanin ist, für Balance im Altai und in der Welt zu sorgen, war es notwendig, dass sie zu dieser Zeit zu Hause war, wo sie diesen Auftrag am besten erfüllen konnte.