Weder vom Wetter noch von der Stimmung und den Möglichkeiten her waren dieses Jahr rauschende Feste in den Mai angesagt. Vielleicht mag es für einige – wie für mich – tröstlich sein, zu erfahren, dass es geschichtlich vor den wilden, ausschweifenden Maikulten den asketischen Cordea-Kult gegeben haben soll.
Cordea, auch Cardea genannt, wurde im alten Rom als Göttin der Schwellen und Türgriffe verehrt. Ihre Pflanze war der Weißdorn, ihre Prinzipien Strenge, Reinheit und Schlichtheit, deren Einhaltung Wachstum und Reife verspricht. In jener Zeit sollen die Menschen zwischen Maianfang und Sommersonnenwende alte Kleidung getragen und sich durch Reinigungsriten innerlich und äußerlich auf die Sommersonnenwende vorbereitet haben.
Ovid schrieb über Cordea: „Ihre Macht ist es, zu öffnen, was geschlossen ist, zu schließen, was geöffnet ist.“
Mythen gaben (und geben) Menschen Halt und Verständnis für ihre Lebenssituation. Eigene Erfahrungen können durch die Erzählungen in einem größeren Rahmen betrachtet werden. Dadurch kann Verbundenheit entstehen, selbst wenn man/frau sich gerade isoliert und abgeschnitten vom Leben fühlt („Warum bin ich unglücklich, wenn es um mich herum grünt und blüht?“)
Die griechische und römische Mythologie kennt übrigens unzählige Götter und Göttinnen für die unterschiedlichsten Lebensmodelle. So gibt es zum Beispiel nicht nur die Heilige (Maria) und die (angebliche) Hure, ein Frauenbild, das die christliche Mythologie lange geprägt hat, sondern göttliche Vorbilder für Frauen in allen erdenklichen Situationen, von der (Erd-)Mutter Demeter bis zur Wissenschaftlerin Athene, von der Liebesgöttin Aphrodite bis zur Todesgöttin Hekate.